Gemeinnützigen Arbeit als Alternative zur Strafe
Vom 26. – 28. Oktober 2001
veranstaltete das Europäische Forum für angewandte Kriminalpolitik e.V. in Zusammenarbeit mit der Kath. Akademie Trier und der Kath. Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe KAGS eine europäische Tagung zur Gemeinnützigen Arbeit als Alternative zur Strafe. Arbeitssprachen der Tagung waren Deutsch und Französisch (« Plutôt au travail qu’en prison – Colloque européen sur le travail d’intérêt général en tant qu’alternative à la peine »).
Bereits vor etwa einhundertfünfzig Jahren gab es erste Formen der gemeinnützigen Arbeit als Alternative zur Strafe. Auch in der Kriminalpolitik wurde diese Sanktion zu Zeiten von VON LISZT bereits heftig diskutiert. Nachdem in England und Wales die moderne Form der Gemeinnützigen Arbeit als „community service“ Anfang der 70er Jahre eingeführt wurde, begann diese Sanktion sich in Europa auszubreiten. Zuerst in einzelnen Modellprojekt, später dann auf gesetzlicher Grundlage. In Deutschland ist die Gemeinnützige Arbeit als Sanktion ganz aktuell in der Debatte, nachdem die Gesetzesvorlage zur Sanktionenreform in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde.
Im ersten Vortrag ging Wolfgang Krell (Vorstandsmitglied des Europäischen Forums) auf diese geschichtlichen Hintergründe der Gemeinnützigen Arbeit ein und zeichnete die Entwicklung der theoretischen Debatte nach, die erst in England und Wales zu einem erfolgreich umgesetzten Praxis führte. Gleichzeitig wurde auch die Philosophie der Gemeinnützigen Arbeit dargestellt. Dieser ideenreiche Hintergrund wird in der deutschen Debatte oft vergessen und man beschränkt sich auf Voraussetzungen und Bedingungen der Durchführung, also den eher technischen Bereich.
Ganz grundsätzlich hinterfragte Dr. Bernd Steinmetz (Kath. Akademie Trier) im zweiten Vortrag den Begriff „Arbeit“ und seine Bedeutung für das menschliche Leben. Er zeichnete die Entwicklung der Arbeitsgesellschaft nach und ging auf deren heutige Krise ein. In Bezug auf gemeinnützige Arbeit fragte er nach dem Ansatz von Arbeit als Strafe und stellte klar, dass es für einen pädagogischen Einsatz von Arbeit bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wie z.B. einer genauen Auswahl der Straffälligen sowie einer effektiven Organisation und Betreuung.
Dr. Benjamin F. Brägger aus Freiburg (Schweiz) ist Mitarbeiter des Schweizerischen Ausbildungszentrums für Strafvollzugspersonal. Er führte in die aktuelle Situation der Gemeinnützigen Arbeit als Alternativsanktion in der Schweiz ein. Allein der föderale Aufbau der Schweiz in viele im Justizbereich selbständige Kantone erschwert eine einheitliche Praxis. Bei den Strafen sind die kurzen Haftstrafen bis zu drei Monaten eindeutig in der Überzahl (ca. 78 % aller Verurteilungen zu unbedingter Haft). Die massive Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafen ist also in der Schweiz kriminalpolitisch dringend. Die gemeinnützige Arbeit ist eine mögliche Form, die in verschiedenen Modellversuchen unter Beteiligung der Caritas Schweiz begonnen wurden und heute durch Bewilligung der Bundesregierung (d.h. ohne gesetzliche Regelung) in bisher 20 von 26 Kantonen praktiziert wird.
Seit 1996 gibt es die Gemeinnützige Arbeit als Sanktion in der Tschechischen Republik. Jaroslav Hala, Psychologe an der Universität Budweis und Mitarbeiter in der Justizvollzugsanstalt Budweis gab einen praxisbezogenen Einblick in die Durchführung dieser Sanktion in unserem östlichen Nachbarland. Die Auswahl der einbezogenen Straftäter und passender Einsatzstellen bedarf einer professionellen Grundlage, denn sie sind entscheidend für das Gelingen.
Erika Toth aus Budapest ist Bewährungshelferin und berichtete über Ungarn. Seit 1979 ist die Durchführung der Gemeinnützigen Arbeit in Ungarn gesetzlich geregelt – die kürzeste Dauer ist ein Tag, die längste 50 Tage mit je sechs Arbeitsstunden. Erst seit Mitte der 90-iger Jahre nimmt die Zahl der Fälle von gemeinnütziger Arbeit deutlich zu. Die Überlastung der Bewährungshilfe – die für die soziale Betreuung der Täter an den Einsatzstellen zuständig ist – hat zur Folge, dass den einzelnen Fällen nur wenig Zeit gewidmet werden kann. Gerade die Auswahl der geeigneten Täter, die Kontrolle der Einsatzstellen und die persönliche Betreuung kommen zu kurz. Gerade auch das Verfahren selbst – bis der eigentliche Arbeitseinsatz beginnen kann – dauert sehr lange.
In Mecklenburg-Vorpommern läuft seit mehreren Jahren das Projekt „Ausweg“. Die Förderung der gemeinnützigen Arbeit war eine Reaktion auf die hohen Zahlen von Inhaftierten mit Ersatzfreiheitsstrafe. Lothar Strubel vom Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern erläuterte als Leiter die Arbeit innerhalb dieses Projekts und schilderte die landesweite Umsetzung der Gemeinnützigen Arbeit in diesem Bundesland Deutschlands.
Seit 1983 gibt es die Gemeinnützige Arbeit in Frankreich, wie Alain Hahn, Vollstreckungsrichter aus Strasbourg vorstellte. Mit dem neuen Strafgesetzbuch von 1984 gilt sie auch als Hauptstrafe, die mindestens 40 Stunden bis zu höchstens 240 Stunden betragen kann. Auch für Ordnungswidrigkeiten kann sie verhängt werden mit einem Stundenrahmen von 20 – 120 Stunden. Die meisten Einsatzstellen finden sich in Großstädten, so dass es auf dem Land immer wieder Schwierigkeiten gibt, geeignete Stellen zu finden.
Nathalie Cordier, Mitarbeiterin bei den Sozialen Diensten der Justiz in Charleroi (Belgien) führte die Praxis der Gemeinnützigen Arbeit in Belgien aus, die sowohl im Rahmen der Bewährungshilfe wie auch im Rahmen der Straf-Mediation (médiation pénale) durchgeführt wird. Die Stundenzahl kann 20 – 240 Stunden betragen. Für die Durchführung ist die Bewährungshilfe zuständig. Zug um Zug entwickelt sich die Gemeinnützige Arbeit in Belgien zu einer eigenständigen Strafe.
In vier Arbeitsgruppen wurden dann eingehendere Diskussionen geführt zu den Themenbereichen: Empfehlungen des Europarates, Vergleich der teilnehmenden Straffälligen, Bereitschaft und Bedingungen bei den Einsatzstellen und Probleme der Justiz in der praktischen Arbeit.
Zum Abschluss der Tagung gab Gabriela Peter-Egger aus Zürich einen Einblick in eine Kosten-Nutzen-Analyse aus der Schweiz, bei der die volkswirtschaftlichen Kosten der schweizerischen Vollzugsformen Gemeinnützige Arbeit, Halbgefangenschaft und Normalvollzug miteinander verglichen wurden. Die Gemeinnützige Arbeit erwies sich dabei als die kostengünstigste Sanktionsform, die gleichzeitig auch den größten volkswirtschaftlichen Nutzen erbrachte.
Als vorläufiges Fazit der Tagung kann gezogen werden, dass es sich bei der Gemeinnützigen Arbeit als Sanktion in der Praxis um eine der schwierigsten Sanktionen handelt. Die Gemeinnützige Arbeit ist eine Verurteilung im Namen des Volkes durch das Gericht – und das Volk, die Gesellschaft muss in Gestalt von Einsatzstellen die Organisation der Sanktion selbst übernehmen.
Im Mittelpunkt steht der Straftäter, der Arbeitsstunden leisten soll – organisiert werden muss dies in enger Kooperation von Gericht, sozialer Betreuungsstelle und Einsatzstelle. Es zeigte sich, dass in allen vorgestellten Ländern ähnliche Probleme vorliegen. Gemeinnützige Arbeit hat Zukunft in Europa – aber dafür, dass die Gesellschaft selbst die Organisation dieser Sanktion übernimmt, braucht es ausreichende finanzielle Mittel und klare Kooperationsabsprachen.
Europäisches Forum für angewandte Kriminalpolitik e.V.
Anne-Marie Klopp
Alle Vorträge dieser Tagung sind in einer Tagungsdokumentation erschienen, welche über das Europäische Forum für Kriminalprävention zum Unkostenbeitrag von € 15.- inkl. Versand (ISBN 3-933837-18-9) bezogen werden kann.
In französicher Sprache finden sie unter folgendem Link eine Zusammenfassung:
Résume 2001