2007 – Der Umgang mit Jugendkriminalität

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Im Spannungsfeld zwischen Erziehen und Strafen

Nach mehreren erfolgreichen Tagungen an diesem Ort, veranstaltete das Europäische Forum für angewandte Kriminalpolitik die jährliche europäische Tagung des Vereins vom 21. bis 24. Juni 2007 in Trier.
Nach einem gemeinsamen Abendessen begannen wir die Tagung mit einer Vorstellungsrunde der Teilnehmer. Anschließend war in einer entspannten und freundschaftlichen Atmosphäre Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen.

Nach einer teilweise weiten Anreise konnten sich alle Teilnehmer bei einem gemeinsamen Abendessen stärken.

 

 

Es folgte die Begrüßung durch die Vorsitzende, Anne-Marie Klopp, und den Vertreter der Kath. Akademie, Herrn Dr. Bernd Steinmetz. Der Tag endete nach einer unterhaltsamen Vorstellungsrunde.

Vortrag von Prof. Dr. Bernd-Rüdeger Sonnen
Umgang mit Jugendkriminalität aus deutscher Sicht

Prof. Sonnen beschreibt die aktuelle Medienlage zur Jugendkriminalität und setzte sich anschließend mit den Fakten auseinander. Danach gibt es generell keine Zunahme der Jugendgewalt, sie ist nur mehr bekannt geworden. Dies ist aus Dunkelfeldforschungen belegt. Auch ist die vermutete Verschärfung der Gewaltformen nicht vorhanden, so sind z. B. Raubdelikte rückläufig, dagegen gibt es einen deutlichen Anstieg der Körperverletzungen, was sehr ernst zu nehmen ist. Ein realistisches Bild zur Jugendkriminalität bedeutet, dass es keine Zunahme gibt und auch keine Verschärfung. Dies ergibt sich auch aus der Statistik des Bundesverbandes der Unfallkassen zu Schulvorfällen.
Der Umfang der Kriminalität umfasst 6,3 Millionen Straftaten bei 83 Mill. Einwohnern. Das Dunkelfeld beträgt das Zehnfache. Kriminalität gehört damit zum Alltag. Der Bevölkerungsanteil von Jugendlichen beträgt 3%, dagegen begehen sie 12 % aller Straftaten. Es werden aber mehr Kinder und Jugendliche Opfer von Gewalt durch Erwachsene, als sie Täter von Gewalt sind. Wenn sie Täter von Gewalt sind, dann ist es überwiegend Kriminalität unter Gleichaltrigen. Ansonsten überwiegen sie im Bereich der Bagatellkriminalität. Allerdings sind Jugendliche bei den Gewaltdelikten mit 21% deutlich überrepräsentiert.

Prof. Sonnen beschreibt den Unterschied zwischen der kleinen Gruppe Jugendlicher mit vielen Straftaten (Intensivtäter) und der großen Gruppe mit wenigen Straftaten. Bei letzterer bleibt das abweichende Verhalten Episode und vergeht. Entscheidend ist die Frage, wie mit der kleinen Gruppe umzugehen ist, um eine kriminelle Karriere zu vermeiden. Er plädiert dafür, konkret die Möglichkeiten der Kriminalprävention hier ohne Scheuklappen frühzeitig zu bündeln und Kinder und Jugendliche stark machen. Franz von List’s These einer guten Kriminalpolitik durch eine gute Sozialpolitik gilt nach wie vor und sollte im Sinne einer Frühprävention Anwendung finden, ohne schon den Blick auf die Verhinderung von Straftaten zu haben.

Die Faktoren für die Gefahr der Straffälligkeit beginnen in der sozialen- familiären Situation, der nächste Faktor ist die sozioökonomische Situation und drittens die Ausbildungs- und Berufssituation. Wenn allein zwei der Faktoren zutreffen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Straffälligkeit um das dreifache. Dies allein kann keine Jugendrichter verändern, deshalb muss die Delinquenz im größeren Zusammenhang betrachtet werden.

Prof. Sonnen geht bei der Ursachenbeschreibung auf die Sozialisation des Menschen am Beispiel der Pyramide des Normenlernens ein. Dieser Prozess beginnt im Elternhaus in frühester Kindheit. Deshalb ist hier bereits mit der Stärkung zu beginnen. Fazit: Je früher die Normverdeutlichung beginnt, desto größer ist der Erfolg. Die Chancen nehmen aufsteigend ab, das heißt, dass mit dem staatlichen Eingriff eine Korrektur nur noch schwer zu ermöglichen ist. Längsschnittstudien zeigen, dass abweichendes Verhalten bereits vor Eintritt in die Strafmündigkeit erfolgt. Dies ergibt sich aus dem 2. Periodischen Sicherheitsbericht. Diese Erkenntnis führt zu der Forderung, die primäre Prävention und damit die Familien zu stärken.

Insgesamt zieht der Referent die Konsequenz, dass Prävention vor Repression erfolgen muss und man sich von dem strafrechtlichen Denken lösen sollte. Hierbei muss die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren ausgebaut werden.

Zu den Erfolgschancen der aktuellen Jugendkriminalpolitik führt er aus, dass die Erfolgsquoten durchweg schlecht sind. Sie liegen unterhalb der Quoten im Erwachsenenstrafrecht. Die informellen Erledigungen haben eine höhere Erfolgsquote. Es zeigt sich, dass der Misserfolg umso größer wird, je schärfer die Maßnahme wird. Deshalb verbietet sich für ihn die aktuelle Diskussion um den „Warnschuss“ im Jugendarrest. Er plädiert für eine Betonung der informellen Maßnahmen.

In der Diskussion plädierte Prof. Sonnen für eine Konzentration der Möglichkeiten auf die Gruppe der Intensivtäter. Er sieht durchaus Chancen, wenn es gelingt, die Gruppenbezüge zu verändern. Wichtig ist es, dem Jugendlichen seinen Status als „Sieger“ zu nehmen. Dies ist schwierig, aber machbar. Er wies auf das „Glenn-Mills-Projekt“ aus den USA hin. Dies ist ein sehr strukturiertes Schulprojekt, das seiner Ansicht nach vielversprechend ist.

Das BVerfG hat am 21.05.2006 geurteilt, dass das Jugendstrafrecht speziell geregelt werden muss. Die Länder müssen bis zum 31.12.2007 ein Jugendstrafvollzugsgesetz vorlegen. Der Staat muss dafür sorgen, dass die notwendigen Mittel bereitgestellt und das Vollzugsverfahren ständig auf Effizienz überprüft wird. Das Gericht sieht ein Indiz für Verfassungswidrigkeit in der Verletzung internationaler Standards beim Umgang mit Jugenddelinquenz. Dies ist zukünftig in den Focus zu nehmen.
Prof. Sonnen wies abschließend darauf hin, dass der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden muss, dass „Kriminalität nicht einfach weggesperrt werden kann“. Hier hat auch die Politik ihre Verantwortung, die nach Ansicht einiger nicht immer in rationaler Weise wahrgenommen wird. Das Ziel aller muss sein, durch Abbau der Gefährdungsfaktoren und durch eine gelingende Sozialisation zu weniger Straffälligkeit zu kommen.

Vortrag von Frédérique Bütikofer Repond
Umgang mit Jugendkriminalität aus frankophoner Sicht

Frédérique Bütikofer Repond, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Freiburg (Schweiz), stellt in einem Grundsatzreferat den Umgang mit der Jugendkriminalität in drei französischsprachigen Ländern in Europa: Belgien, Frankreich und die Schweiz dar.

Wenn die Probleme in den drei Ländern ähnlich sind, wird mit ihnen in den drei Ländern unterschiedlich umgegangen, wenn auch sich die Debatten um die Begriffe SCHUTZ (des Jugendlichen und/oder der Gesellschaft), VERANTWORTLICH MACHEN des Jugendlichen drehen. Die Gesetze wurden mehr oder weniger durch die 3 große im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit geltende Systeme geprägt und zwar: die schützende Justiz, die strafende Justiz und der neue Ansatz: die wieder gut machende Justiz. Dazu kommt ein neueres Modell, was in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch die UNO initiiert worden ist, das Modell der Kinderrechtsgarantie.

Der Jugendschutzgedanke ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Es wurde davon ausgegangen, das Kind sei Opfer seines Milieus (ob sozial, wirtschaftlich oder familiär) und deswegen nicht für seine Taten verantwortlich. Daher hat die Justiz das Kind nicht zu strafen, sondern vielmehr zu schützen. Es geht darum, das Kind zu „behandeln“. Dieses Modell, das in Belgien und Frankreich lange vorrangig angewandt worden sind, hat nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Der Jugendrichter verfügt über einen sehr großen Ermessensspielraum. Die Maßnahmen, die zugunsten der Jugendlichen angeordnet werden, brauchen nicht begründet werden, sind zeitlich nicht begrenzt und können nicht widersprochen werden. Gerichtliche Garantien werden nicht gewährt, das Opfer wird ignoriert. Ende der siebziger des vergangenen Jahrhunderts wurde dieses Modell in Frage gestellt. Nach und nach wurde dann die strafende Justiz wieder eingeführt. Die Jugendlichen werden nicht mehr als Opfer ihres Milieus angesehen sondern als verantwortlich für ihr Tun erklärt. Das Verhältnismäßigkeitprinzip wird angewandt. Um den Schutz der Gesellschaft zu gewähren, wird die Freiheitsstrafe systematischer verhängt. Der Minderjährige darf anwaltlich vertreten werden und Rechtsmittel stehen ihm zur Verfügung. Dennoch kann eine Strafe nicht die einzige Antwort auf eine Tat sein. Das Pädagogische und das Therapeutische drohen in den Hintergrund zu treten. Die besondere Situation des Minderjährigen wird nicht mehr entsprechend berücksichtigt. Um die Nachteile der beiden Modelle umgehen zu können wurde das Modell der wieder gut machenden Justiz eingeführt. Dabei steht nicht nur der Minderjährige im Vordergrund. Das Opfer wird mit einbezogen, der Jugendliche zur Verantwortung gezogen und ein gewisser Ausgleich in der Gemeinschaft sprich Gesellschaft bezweckt. So anziehend dieses Modell auch ist, stößt es auch auf Grenzen: das Opfer kann durchaus seine Mitarbeit weigern, der Minderjährige kann dazu gebracht werden, etwas zu akzeptieren, was er nicht wollte. Zudem kommt es auf die Person des Mediatoren an. Ein solches Verfahren ist bei schwerwiegenden Straftaten nicht anwendbar. Eine Straftat ist nicht nur ein Konflikt zwischen 2 Personen, sondern stört auch den Rechtsfrieden.

Belgien (in Wallonien), Frankreich und die französischsprachige Schweiz haben in ihr Rechtssystem Elemente, und zwar das Beste, aus den verschiedenen Justizmodellen integriert.

In einem zweiten Teil hat die Referentin die Frage gestellt, ob es einen internationalen Text gibt, der zum Zweck hat, das Jugendstrafrecht und die Jugendgerichtsbarkeit in Europa zu harmonisieren. Den Text gibt es. Dabei handelt es sich um einen genauen Katalog der Rechte der Kinder. Das Übereinkommen der UNO vom 20. 11. 1989 über die Rechte des Kindes ist das erste Instrumentarium mit zwingendem Charakter für alle Länder der Welt bis auf die USA und Somalia. In 3 Artikel und zwar in den Artikeln 37, 39 und 40 werden die Todesstrafe, die lebenslängliche Freiheitsstrafe, die Folter und erniedrigende Behandlung verboten. Freiheitsstrafe darf nur ultima ratio angewandt werden. Minderjährige und Erwachsene müssen getrennt voneinander untergebracht, der Kontakt zur Familie darf nicht untergebrochen werden. Verfahrensgarantien (Verhältnismäßigkeit, anwaltliche Vertretung, Rechtsmittel) sowie die Schaffung von besonderen Fachinstanzen werden gefordert. Dem Erziehungsgedanken muss der Vorrang eingeräumt werden. Präventions- und alternative Maßnahmen müssen entwickelt werden. Dazu kommen drei Schlüsselinstrumentarien und zwar die:

  • Beijing-Gründsätze
  • Havanna-Grundsätze
  • Riyadh-Richtlinien.

Es handelt sich zwar nur um Empfehlungen, welche das Übereinkommen ergänzen. Dennoch haben sie einen zwingenden Charakter.

Auf europäischer Ebene sind folgende Texte zu erwähnen:

  • die Europäische Empfehlung bezüglich neuer Formen des Umgangs mit Jugenddelinquenz und der Rolle der Jugendgerichtsbarkeit aus dem Jahre 2003 (die sogenannte Rec (2003)20),
  • die europäische Empfehlung bezüglich der gesellschaftlichen Reaktion auf das straffällige Verhalten von Jugendlichen aus Migrationfamilien (die so genannte Rec (88)6).

Wenn auch durch diese Auflagen und Verpflichtungen selbstverständlich zu sein schienen und das Übereinkommen von den drei Ländern ratifiziert worden ist, bereitet die praktische Umsetzung Probleme. Bereits bei der Ratifizierung dieses Übereinkommens waren Belgien, Frankreich und die Schweiz nicht in der Lage, alle Rechte und Garantien einzuhalten. Daher hat sich das Komitee der Kinderrechte u. a. am:

  • 13.06.2002 über die Zurückdrängung des Schutzgedanken und den Bau der geschlossenen Einrichtung Everberg in Belgien,
  • 30.06.2004 über die zunehmende Anzahl von Inhaftierungen und den damit verbundenen schlechteren Haftbedingungen bei Minderjährigen sowie den repressiveren Umgang bei der Jugenddelinquenz in Frankreich und
  • 13.06.2002 über das Mindestalter (7 Jahre bis 2006, 10 Jahre 2007), ab wann die Justiz in der Schweiz eingreifen kann, sowie über die gemeinsame Unterbringung von Erwachsenen und Minderjährigen und die Misshandlung von ausländischen Minderjährigen

besorgt erklärt.

Leider „besteht“ der Ansatz des Komitees über die Rechte des Kindes bei der Forderung und dem Schutz der Kinderrechte eher darin, Ratschläge zu erteilen als einen Konfrontationskurs einzuschlagen. Sein Erfolg hängt eher von der Diplomatie als von rechtlichen Sanktionen.“

Daher scheint es unumgänglich zu sein, dass die nationalen Richterschaften und Magistraten bei ihren Entscheidungen die Rechte der Kinder anerkennen und respektieren.

Diese Texte haben Einfluss auf die Gesetzgebungen der 3 Länder geübt. Die Ergebnisse sind leider ambivalent. Einerseits wurden die Verfahrensrechte verbessert. Andererseits nimmt der Repressionsgedanke einen immer größeren Platz ein und verdrängt somit den Schutzgedanken und das Pädagogische und Erzieherische in den Hintergrund. Zwar bemüht man sich, möglich wenig auf die Gerichte zurück zu greifen. Doch nehmen die Strafen zu.

Die Kluft zwischen der so genannte alterbedingte Delinquenz sowie der pathologischen Delinquenz und der so genannten Ausschlussdelinquenz wird immer größer. Bei den beiden ersten Erscheinungsformen bemüht man sich um eine Reintegration des Jugendlichen in der Gesellschaft. Im dritten Fall wird dem Schutz der Gesellschaft dem Vorrang eingeräumt.

Die Referentin schloss Ihr Referat mit einem zu beachtenden Zitat: „Eine korrekte und komplette Anwendung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes bietet die Garantie, eine Gesellschaft zu schaffen, die die Kinder respektiert. Und nur eine Gesellschaft, die alle ihre Kinder respektiert, wird Kinder großziehen, die die Gesellschaft respektieren.“

Länderberichte

Frau Isabelle Delens-Ravier, Forscherin bei dem Département de criminologie de l’Institut National de Criminologie et de Criminalistique INCC, in Brüssel, Belgien, schildert in einem ersten Teil die besondere belgische Situation.2006 wurde das bis dahin geltende Jugendschutzgesetz aus dem Jahre 1965 durch das „Loi relative à la protection de la jeunesse, à la prise en charge des mineurs ayant commis un fait qualifié infraction et à la réparation du dommage causé par ce fait“ (Gesetz zum Schutz der Jugend und zum Umgang mit Minder-jährigen, welche eine Tat begangen haben, die einer Straftat entspricht, und bezüglich der Wiedergutmachung des Schadens, der durch diese Tat verursacht worden ist) ersetzt. Diese Formulierung „eine Tat begehen, welche einer Straftat entspricht“ erklärt sich dadurch, dass in Belgien die Strafmündigkeit bei 18 Jahren liegt. Allerdings besteht die Möglichkeit bei schwerwiegenden Fällen ab dem 16. Lebensjahr auf die Erwachsenengerichtsbarkeit zurück zu greifen. Dieses Gesetz ist ein Bundesgesetz. Die drei Gemeinschaften (deutsch-, flämisch- und französischsprachig) sind allerdings für die Umsetzung der Maßnahmen zuständig, die Jugendstaatsanwälte- und Richtern bei Minderjährigen anordnen, die eine Tat begehen, welche einer Straftat entspricht.

Zuverlässige Statistiken über die Jugendkriminalität gibt es nicht, wobei sich das INNC um die Herstellung einer Datenbank bemüht.
Auffällig ist allerdings die Tatsache, dass die ausländischen Minderjährigen bzw. die Minderjährigen ausländischer Herkunft überrepräsentiert sind. Zwei Gründe werden genannt, um diese Situation zu erklären:

  1. die Verfolgungsinstanzen werfen ein besonderes Augenmerk auf diese Bevölkerungsgruppe
  2. Jugendliche aus dem nordafrikanischen Raum werden schneller aus ihrem familiären Umfeld heraus genommen, da deren Familien wenig soziale Kompetenz zugesprochen wird. Dies wird als beschämend empfunden und führt dazu, dass die Jugendlichen selten über ihr Familienumfeld sprechen. Die Familien sind wenig kooperativ, was als Desinteresse wahrgenommen wird und den Rückzug der Fachleute verursacht.

Der neue gesetzliche Rahmen (2006) beruht auf vier Justizmodellen:

  • das Schutzmodell; der junge Straffällige ist vor allem ein Jugendlicher, den es zu schützen und erziehen gilt
  • das sanktionierende Modell; die Tat spielt wieder eine zentrale Rolle: Dennoch ist die Sanktion keine Strafe im strafrechtlichen Sinne (Übelzufügung). Vielmehr gilt es die Mängel durch die Verinnerlichung von Normen aufzuheben
  • das wiedergutmachende Modell; alles dreht sich hier um die Wiedergutmachung des verursachten Schadens
  • das strafrechtliche Modell mit den Strafmassen, die der Tat entsprechen.

Insgesamt wird sehr viel Wert auf die Mediation gelegt. Eine Mediation wird bei jedem Verfahrensabschnitt angeboten, mit dem Ziel dem Opfer genügend Platz einzuräumen und den Schaden wieder gut zu machen. Formell hat sich im belgischen Recht viel verändert. War der Schutzgedanke im letzten Gesetz noch vorrangig mit all den damit verbundenen Unklarheiten (Ergänzung durch A.-M. Klopp: mangelnde Begründung, unbestimmte Dauer, unklare Grenze zwischen gefährdeten und so genannten gefährlichen Minderjährigen usw.) wird nun nach mehr Transparenz (Begründung bei der Anordnung von Maßnahmen, ausführliche Information und systematische anwaltliche Vertretung, besondere Ausbildung für die Jugendstaatsanwälte und Richter) gestrebt.

Um die Ziele zu erreichen, stehen eine Vielfalt an Maßnahmen zur Verfügung, die das Gericht bis zum 23. Lebensjahr anordnen kann. Die Unterbringung in eine geschlossene Einrichtung wird erst angeordnet, wenn alle anderen Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Diese Maßnahmen werden vorrangig in öffentlichen Einrichtungen durchgeführt, wobei es auch eine enge Kooperation mit Einrichtungen im privaten Sektor (Schulinternate, Psychiatrie…) gibt. Als besondere lang existierende Einrichtung seien die so genannten Institutions Publiques de Protection de la Jeunesse (öffentliche Einrichtungen für Jugendschutz).

Zurzeit gibt es nur eine geschlossene Bundeseinrichtung in Everberg, die Minder-jährige, die über 14 sind aufnimmt, die eine Tat begangen haben, die einer Straftat entspricht. Für die Sicherheit sorgen Strafvollzugsbeamte. Für die Erziehung sorgen pädagogische Fachkräfte.

Ein schwerer Vorfall (ein 16jähriger wurde von 2 Jugendlichen im Brüsseler Südbahnhof umgebracht) hat die Öffentlichkeit erschüttert, die im Gegenzug mehr Repression und Härte verlangt. Die politische Antwort darauf ist eine Einschränkung der pädagogischen Freiheit und eine strengere Anwendung des neuen Gesetzes, was die Anwendung der Erwachsenengerichtsbarkeit ab dem 16. Lebensjahr zur Folge hat.

Der Länderbeitrag aus der Schweiz wurde vorgestellt von Frau Caroline Engel, Rechtsanwältin aus Zürich, und Herrn Hansueli Gürber, Jugendanwalt in Zürich.
Einführend stellten die Referenten einige Eckdaten und Zahlen zu ihrem Heimatland sowie statistische Zahlen zur Jugendkriminalität im Kanton Zürich dar.

Das schweizerische Jugendstrafrecht in ein Sonderstrafrecht, das für Personen zwischen 10 und 18 Jahren gilt, die eine strafbare Handlung begangen haben. Nach Vollendung des 18. Lebensjahres gilt das Erwachsenenstrafrecht. Das Jugendstrafrecht orientiert die Sanktionen in erster Linie an der Persönlichkeit des Täters und ist vorrangig ein Maßnahmenstrafrecht.

Anschließend stellten die Referenten die im Jugendstrafrecht möglichen Maßnahmen vor. Dabei ist auch der Freiheitsentzug bis zu 1 Jahr möglich. Im zweiten des Vortrages folgten Informationen zur öffentlichen Diskussion die Jugendkriminalität betreffend sowie die Darstellung von Integrations- und Präventionsprojekten. Dabei wurde deutlich, dass eine große Vielfalt in der Zusammenarbeit von der Justiz mit der Polizei und anderen Stellen besteht. Ebenfalls findet eine Zusammenarbeit mit zivilrechtlichen und privaten Stellen sowie den Schulen statt.

Aus der Sicht des Jugendanwaltes kommt es bei der Bearbeitung der Verfahren ganz entscheidend darauf an, dass es gelingt, den Jugendlichen und seine Eltern zur Mitarbeit in dem Verfahren zu bewegen – es geht um ein Miteinander. Um die klare Wertung der Tat, um klare eine Grenzsetzung und klare Zielsetzungen. Die Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen brauchen mehr als nur gute Juristen. Allerdings ist auch in der Schweiz der Spardruck in diesem Bereich eher kontraproduktiv. Aus Sicht der Strafverteidigerin ist die Feststellung wichtig, dass Strafverfolgungsbehörde, der Jugendliche und sie selbst das gleiche Ziel verfolgen: die Rückkehr zur Deliktsfreiheit. Verteidigung bedeutet für die Rechtsanwältin nicht, den Jugendlichen den Konsequenzen seiner Delinquenz zu entziehen. Daher bedauert sie auch die vielfach vorherrschende Haltung in den Jugendanwaltschaften, die Beiziehung einer Verteidigerin sei unangenehm oder gar störend bis unerwünscht. Es kann hier nur ein Miteinander für die Jugendlichen geben.

Die Präsentation der Situation in Frankreich wurde von Frau Fanny Fournier übernommen. Nach einer allgemeinen Vorstellung der Gebietsstrukturen folgte eine Übersicht über die Organisation des Jugendschutzes in Frankreich. Dabei wird unterschieden zwischen gefährdeten Jugendlichen und straffällig gewordenen Jugendlichen. Dabei herrscht die Annahme vor, dass ein straffällig gewordener Jugendlicher auch immer ein gefährdeter Jugendlicher ist und die Straftat Ausdruck seines Leidens ist.
Die Strafmündigkeit liebt bei 18 Jahren. In Frankreich gibt es kein Strafmündigkeitsalter, unter dem keine Strafverfolgung stattfinden kann. Es wird auf das Konzept der Einsichtsfähigkeit zurückgegriffen. Die Weigerung eine Altersgrenze festzulegen, steht hierbei im Widerspruch zu den von Frankreich ratifizierten internationalen Abkommen.

Unter den im Jahr 2005 von den Staatsanwaltschaften als verfolgbar eingestuften ca. 1,5 Millionen Straftaten wurden ca. 142000 von Minderjährigen begangen. Das sind 9,8% aller Straftaten. Davon wurden 85,5% strafrechtlich verfolgt.

Im Jahr 2005 wurden gegen 6204 Minderjährige Freiheitsstrafen verhängt. Von den am 1. März 2007 in Frankreich inhaftierten 59892 Personen waren 721 Minderjährige.

In Frankreich existiert eine auf breiter Basis stehende Zusammenarbeit aller mit der Umsetzung der Jugendhilfe beteiligten Organisationen und Stellen. Im Jahre 1997 kam es zur Gründung örtlicher kriminalpräventiver Räte. Diese erstellen auf der Grundlage einer durch alle Beteiligten vorbereiteten Sicherheitsanalyse einen Plan zur Kriminalprävention.

In seinem Beitrag aus Sicht der Tschechischen Republik ging PhDr. Jaroslav Hala einleitend auf die Pönologie, die Wissenschaft über das Strafen und die Bestrafung, ein.
Der Umgang mit Jugendkriminalität bildete den zweiten Abschnitt des Vortrages. Dabei wurde deutlich, dass die gesetzlichen Regelungen in Tschechien auf Theorie und Praxis aus den USA, Kanada und der EU sowie nationalen Spezifika geschaffen wurden.
Spezielle Jugendgerichte sind für die Rechtsprechung zuständig. Diese können gegenüber Kindern unter 15 Jahren und für Jugendliche, also im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, bestimmte der Altergruppe zugeordnete Maßnahmen verhängen. Jugendliche können auch in Haft genommen werden.
Im dritten Teil seines Vortrages erläuterte Dr. Hala verschiedene Beispiele, um Lösungsmöglichkeiten für Drogenprobleme bei Kindern, Jugendlichen und deren Eltern aufzuzeigen. Bei dieser Darstellung lag ein Schwerpunkt auf der Darstellung eines individuellen Bewährungshilfe-Programms für Roma-Klienten.
Ende 2006 waren in den 35 Justizanstalten der Tschechischen Republik ca. 18600 Personen inhaftiert. Davon waren 173 Jugendliche (56 in U-Haft, 117 im Vollzug).

Die Ländervorstellung aus Sicht Deutschlands trug Herr Erwin Schletterer von der Brücke, Augsburg, vor.
Eingangs seiner Ausführungen stellte Herr Schletterer einige Grunddaten dar. Er wies darauf hin, dass das elterliche Züchtigungsrecht im Jahre 2000 ausdrücklich abgeschafft wurde. Weiterhin sei in Deutschland die Furcht, Opfer von Kriminalität zu werden, erheblich höher als die tatsächliche Bedrohung. Zur Verzerrung des Bildes in der Öffentlichkeit trügen insbesondere die „medialen Verkaufsschlager“ Jugendkriminalität und Jugendgewalt im Privatfernsehen bei.
Als gesetzlichen Rahmen zum Umgang mit Jugendkriminalität verwies der Referent auf das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und das Jugendgerichtsgesetz (JGG). Das JGG gelte für Jugendliche ab 14 Jahren und verpflichte sich dem Erziehungsgedanken und orientiere sich an der Persönlichkeit des jugendlichen Straftäters, während das KJHG ein reines Leistungsgesetz ist.
Das Rechtsfolgensystem im Jugendstrafrecht besteht aus dem 3-stufigen Maßnahmenkatalog Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe. Der Zweck der Erziehungsmaßregeln soll ausschließlich in der Erziehung des Jugendlichen liegen.
Die Zuchtmittel sollen zur Wiedergutmachung beitragen. Dabei geht es z. B. um Schadenswiedergutmachung, Geldbuße oder eine persönliche Entschuldigung. Jugendarrest ist ebenfalls möglich, wobei zu beachten ist, dass es sich dabei nicht um eine Kriminalstrafe, wohl aber einen Freiheitsentzug handelt.
Die Jugendstrafe ist eine echte Kriminalstrafe und beträgt mind. 6 Monate und höchsten 10 Jahre. Der Vollzug findet in Jugendstrafanstalten statt. Zum 31.12.2006 saßen in Deutschland 6767 junge Menschen im geschlossenen und offenen Vollzug in den 25 Jugendstrafanstalten ein.
Kritisch führte Herr Schletterer aus, dass immer wieder Forderungen nach mehr Härte und Abschreckung im Jugendstrafrecht laut werden. Dabei sei ein Wesensmerkmal des JGG nicht die besondere Milde sondern die Orientierung ab der Persönlichkeit des Angeklagten. Dabei sei auch zukünftig entscheidend, dass das Jugendstrafverfahren differenziere zwischen der Tat und den besonderen Lebensumständen des jugendlichen Straftäters. Weiterhin sei die zeitliche Dauer vieler Jugendstrafverfahren problematisch. Hier müsse es schnellere Reaktionen geben.
Als Leiter einer Einrichtung der ambulanten Straffälligenhilfe sei es ihm wichtig, auf die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen jugendlicher Normaldelinquenz und der sogenannten Mehrfachauffälligkeit und in diesem Kontext auf die verschiedenen Diversionsbestimmungen hinzuweisen.
Als wichtigste Formen der ambulanten Maßnahmen wurden die Arbeitsweisung, die Betreuungsweisung, der sozialer Trainingskurs und der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) vorgestellt. Im Zusammenhang mit dem Sozialen Trainingskurs wurde auf eine Sonderform, das sogenannte Anti-Aggressivitäts-Training hingewiesen. Abschließend machte Herr Schletterer deutlich, dass es ein sehr dichtes Netz an Angeboten gebe, um auf Jugenddelinquenz zu reagieren. Die Konzepte würden immer wieder den Anforderungen an die Zielgruppe angepasst. Dennoch steige der Druck auf Projekt der ambulanten Straffälligenhilfe nicht zuletzt durch den stetig steigenden Kostendruck. Der Ruf nach mehr Härte schwäche das Vertrauen in die Wirksamkeit ambulanter Maßnahmen.

Das Europäische Forum für angewandte Kriminalpolitik e. V. dankt der Katholischen Akademie Trier als Kooperationspartner ganz herzlich für die hervorragende Unterstützung dieser Veranstaltung!

Der Ländervortrag von Frau Caroline Engel und Herrn Hansueli Gürber steht hier als Download zur Verfügung:

Bericht Engel & Grüber