Herausforderung an eine europäische Kriminalpolitik
Donnerstag, 21.04.2005
Die Anreise der Teilnehmer aus insgesamt acht Ländern klappte gut, ob mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug.
Pünktlich zum Abendessen fanden sich über 30 Teilnehmer in Garbicz ein. Dieses kleine Dorf liegt 30 Kilometer östlich von Frankfurt an der Oder mitten im Wald an einem See. Der Abend endete spät!
Freitag, 22.04.2005
Der Einstieg in das Tagungsthema mit dem Film über die Zwangsprostitution von der ARD-Korrespondentin Inge Bell konnte nicht intensiver sein.
Der Film zeigte die Dimension der Prostitution mit ihren negativen Auswirkungen auf und machte betroffen. Die Forderung an die Politik für ein Bleiberecht von Opfern der Zwangsprostitution und der Wunsch nach mehr Hilfsorganisationen und besserer länderübergreifender Koordination waren das Resümee.
Die Sozialwissenschaftlerin Elfriede Steffan aus Berlin referierte zu den Auswirkungen der EU- Osterweiterung auf die Menschen.
Sie ging zunächst auf die Unterschiede zwischen Polen und Deutschland ein, um dann aufgrund des Wohlstandsgefälles – in Deutschland beträgt das Durchschnittseinkommen 2200 €, in Polen dagegen nur 400 € – Push- und Pullfaktoren im Grenzbereich zu beschreiben.Im Mittelpunkt stand das Problem der Prostitution und die Vorstellung des Europa weiten Gesundheitspräventionsprojektes Umbrella Network – um sexuell übertragbare Erkrankungen zu bekämpfen. Dabei wird versucht, Prostituierte und Freier zu erreichen.
Ein konkretes Ergebnis ist die Website www.sexsicher.de. Bordernet hat dieselbe Aufgabe im innereuropäischen Bereich. Das wichtigste Ziel ist die Gestaltung grenzübergreifender Netzwerke zur Reduzierung von Geschlechtskrankheiten und Aids. Nach ihren Erfahrungen ist es schon gelungen, bei Verantwortlichen mehr Bewusstsein zu schaffen, aber es ist noch viel zu tun. Gewalt und Menschenhandel spielen nach ihren Erkenntnissen eine bedeutende Rolle bei der Prostitution im Grenzbereich.
Danach begrüßte Anne-Marie Klopp den für den Strafvollzug zuständigen Referenten im sächsischen Staatsministerium der Justiz, Jens Richter.
Er berichtete über die Situation in den sächsischen Vollzugsanstalten mit einem Anteil von 16% Nichtdeutschen Gefangenen einer Vielzahl von Nationen. Dabei dominieren mit 15% die Vietnamesen. Besonders die Sprachproblematik verhindert die Einbeziehung in den Behandlungsvollzug.
Sodann ging er auf die Hauptprobleme im Vollzug wie die Drogenabhängigkeit und die Gewalt, Kurzstrafen und die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz ein. Der europäische Einigungsprozess erzwingt seiner Ansicht nach eine Anpassung der Justizvollzugsregeln in Europa. Dies bedeutet eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den EU- Ländern. Die geplante EU-Staatsanwaltschaft und der europäische Haftbefehl sind exemplarisch zu nennen.
Grenzüberschreitende Kontakte und geregelte Sprachausbildung des Justizvollzugspersonals in Sachsen sind ein Beitrag dazu. Er wies auf die Europäische Beratungsstelle in Görlitz hin, die von deren Leiter noch vorgestellt wird. Weitere Beratungsstellen sind vorgesehen.
Ein weiterer Schwerpunkt seines Referates war die Beschreibung kriminalpräventiver Maßnahmen im Justizvollzug und der Hinweis auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Kriminalpolitisch ist die Verbüßung von Freiheitsstrafen ausländischer Gefangener im Heimatland wünschenswert. Die Rahmenbedingungen hierfür reichen jedoch noch nicht aus. Er ging auf die bisherige Planung Sachsens für das Modellprojekt eines Euro-Gefängnisses im Dreiländereck Polen, Tschechische Republik und Deutschland ein. Die Planungen werden zurzeit nicht fortgeführt, da die Bundesrepublik sich dagegenstellt.
Zum Schluss ging der Referent auf den Europäischen Haftbefehl ein, der aktuell die Diskussion in der europäischen Kriminalpolitik bestimmt. Er gilt bei schweren Straftaten, soll die Auslieferung beschleunigen und ist der Einstieg in eine Harmonisierung des europäischen Justizvollzuges. Zurzeit ist jedoch die verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes in Deutschland noch offen. Die anschließende rege und kritische Diskussion zeigte die Vielschichtigkeit des Themas auf. Einen Schwerpunkt bildeten dabei die Auswirkungen der Verbüßung von Freiheitsstrafen in den Heimatländern.
Am Nachmittag stand ein kollektiver Ausflug nach Frankfurt/Oder auf dem Plan.
Dort besichtigten wir die Koordinierungs- und Fachberatungsstelle für osteuropäische Frauen im Land Brandenburg, Belladonna. Deren Leiterin Uta Ludwig berichtete an diesem interessanten Nachmittag sehr interessant über diese wichtige Arbeit mit Prostituierten im Grenzbereich von Deutschland und Polen. Frau Ludwig stellte das geschaffene Netzwerk zwischen ihrer Einrichtung, der Politik, der Verwaltung und der Polizei vor. Der Tag klang mit einem gemütlichen Beisammensein der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und langen Gesprächen aus.
Samstag, 23.04.2005
Der Tag beginnt mit den Ländervorstellungen.
Zunächst ging es um grenzüberschreitende Straffälligenhilfe aus französischer Sicht. Der Soziologe Patrick Colin berichtet über Projekte in Gefängnissen, um die Isolation in der Haft und die Schwierigkeiten, die mit der Haftentlassung zusammenhängen, zu reduzieren. Z. B. ging es in einem Projekt darum, die Kommunikation in Gefängnissen unter der Überschrift „vom Wort zur Schrift“ zu verbessern.
Jean- Pierre Copin ist Geschäftsführer des Vereins Accord in Straßburg. Dieser Verein betreibt Straffälligenhilfe im Raum Elsass und Baden- Württemberg. Es schildert den erfolgreichen Aufbau des grenzübergreifenden Netzwerkes für diese Arbeit und berichtet aus der Praxis. Ein Problem ist die nachhaltige Finanzierung.
Vortrag im PDF-Format: M. Landowski
Mieczyslaw Landowski ist Leiter und einziger Mitarbeiter der Europäischen Beratungsstelle für Straffälligenhilfe in Görlitz. Dies ist ein Modellprojekt, das im September 2003 für 3 Jahre eingerichtet ist.
In Görlitz befindet sich eine U- Haftanstalt mit 100 Plätzen, davon sind ca. 50% Polen.
Die EBS arbeitet aber auch in umliegenden Haftanstalten in Sachsen und in Polen. Seit Beginn hat die Beratungsstelle in mehr als 350 Fällen Ratsuchende betreut. Er schildert die Ziele der EBS, die in der Betreuung polnischer Verurteilter bzw. Inhaftierter, der Beratung der Justizbehörden und sozialen Vereine sowie in dem Aufbau eines Netzwerkes diesseits und jenseits der Grenze liegen. Anhand konkreter Fälle wurde der Wert dieser Einrichtung deutlich.
Nach der Kaffeepause ging es im Schwerpunkt um die Reintegration von Opfern des Menschenhandels.
Zunächst schildert die Juristin Sophie Jekeler aus Brüssel, wie der Verein NID in Belgien sich um die Prostituierten kümmert. Im Mittelpunkt steht das Streetworking, um ein Vertrauensverhältnis zu den Frauen aufzubauen. Dann wird versucht, ärztliche Hilfe und Gesundheitsbetreuung zu vermitteln.
Flankierend finden Informationen bei potentiellen Opfern statt. Ausstiegswilligen Frauen wird in Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen Aufenthalt und Schutz angeboten.
Frau Jekeler schildert die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die ergänzenden Regelungen des Justizministeriums. Insgesamt beobachtet sie eine Zunahme des Problems, besonders das junger Frauen aus Osteuropa, die sich in Belgien prostituieren. Vor allem die „nichtsichtbare“ Prostitution wächst. Damit werden Anknüpfungspunkte für öffentliche Stellen und NGO geschmälert.
Irina Grushewaja ist eine sehr bekannte Menschenrechtlerin aus Minsk in Belarus (Weißrussland). Sie hat große Sorgen, dass ihr Land unter der Diktatur von Lukaschenko von der übrigen Welt abgeschottet wird, obwohl das Land Teil von Europa ist. Jeder 3. Bürger in Belarus lebt in den durch Tschernobyl verseuchten Gebieten. Das Land leidet heute noch, auch in der 2. Generation, an den Folgen er Katastrophe.
Von 1994 bis heute hat sich bei Neugeborenen die Zahl der Missgebildeten verzehnfacht. Durch ihre Stiftung wurden mehr als 160 000 Tschernobyl-Kinder in andere Länder verschickt. Diese Kinder sind die Hoffnung für eine demokratische Zukunft in ihrem Land, weil sie in den besuchten Ländern ein bisschen Freiheit „geschmeckt“ haben.
Die Gefangenenpopulation ist mit 600 auf 100 000 Einwohner an 3. Stelle in der Welt. Viele sind aus politischen Gründen inhaftiert. Die Haftbedingungen sind sehr schlecht. Seit Ende der 90iger Jahre haben sich die Bemühungen um eine Prävention bei jungen Frauen gegen eine Tätigkeit als Prostituierte im Ausland verstärkt. Dazu wurde die halblegale Beratungsstelle „Malinovka“ mit Hilfe des Diakonischen Werkes NRW gegründet. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation im Lande suchen immer mehr junge Frauen ihr „Glück“ überwiegend im europäischen Ausland. Die Arbeit wird durch die politische Situation sehr erschwert, da der Staat nicht kooperiert.
Sie schildert konkret die Unterstützung zurückgeführter Frauen bei der Reintegration in ihrem Land. Viele Frauen gehen trotzdem zurück in die westeuropäischen Länder, weil sie in Belarus keine Zukunft haben. Ihr Bericht über ihre Arbeit und den Zustand in einer Frauenhaftanstalt ihres Landes machte die Teilnehmer der Tagung sehr betroffen.
Am Nachmittag stellten der Polizeioberkommissar Markus Lorenscheit vom Bundesgrenzschutzamt Frankfurt/Oder und der polnische Polizeimajor Krysztof Czak die Arbeit der gemeinsamen Grenzkontaktdienststelle. Sie fördert die deutsch-polnische Zusammenarbeit durch gemeinsame Aus- und Fortbildung, gemeinsame Lagebilder, gemeinsame Streifen, durch abgestimmte Fahndungseinsätze und andere Maßnahmen. In gemeinsamen Ermittlungsgruppen wird überwiegend die Schleuserkriminalität bekämpft. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit liegt in der Bearbeitung von ca. 15 000 Anfragen und Ermittlungsersuchen im Jahr. Diese werden von ca. 20 Mitarbeitern erledigt.
In der abschließenden Reflexion standen die hohe fachliche Qualität der Referate und Diskussionen und die besondere Tagungsatmosphäre im Mittelpunkt.
Durch die Rückmeldungen wurde deutlich, dass das Anliegen des Europäischen Forums für angewandte Kriminalpolitik e. V., Praktiker aus den verschiedenen Instanzen der Sozialkontrolle zusammen zu führen und wirkliche Basiserfahrungen auszutauschen, gelungen ist.
Insbesondere die Exkursion zu belladonna wurde von allen Teilnehmern als sehr bereichernd empfunden. Viele Inhalte der Tagung lassen nur eine tiefere Reflexion zu. Insofern wird angeboten, spätere Rückmeldungen per e-Mail an das EFK abzugeben.
Durchgängig wurde die Bedeutung der Vernetzung zwischen den Instanzen erkannt. Bedauert wurde, dass die Organisation keinen Raum für die schöne Landschaft zuließ. Dies sollte zukünftig berücksichtigt werden.
Die rundum angenehme und familiäre Atmosphäre der Tagung wurde von allen gelobt.
Das Europäische Forum für angewandte Kriminalpolitik e. V. dankt den Kooperationspartnern „belladonna“ und dem „Aktionsbündnis Gegen Frauenhandel“ ganz herzlich für die freundliche Unterstützung dieser Veranstaltung!