2008 – Bürger schaffen sozialen Frieden

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Freiwilliges Engagement im kriminalpolitischen Bereich

Freitag Nachmittag
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung fuhren mit der Straßenbahn zur Einrichtung „ACCORD“ am Rande der Strassburger Innenstadt.

Arbeit von ACCORD
Der Leiter dieser Einrichtung, Jean-Pierre Copin, berichtete als erster über die Arbeit ihrer Beratungsstelle. ACCORD hat insgesamt 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bietet ein breites Spektrum an sozialer Hilfe im kriminalpolitischen Bereich: diese erstreckt sich von Opferhilfe, dem Täter-Opfer-Ausgleich im Strafrecht wie auch der Mediation im Familien-recht. Weitere Bereiche sind Wiedergutmachung, wobei hier vor allem eine gemeinnützige Arbeit, aber auch Fälle direkter Wiedergutmachung behandelt werden. Als „Sozialer Dienst zur Rückfallverhinderung“ werden von ACCORD die Bereiche bezeichnet, die als Strafentlassenenhilfe zu verstehen sind. Strafentlassene brauchen eine breite Unterstützung nach der Haft, vor allem geht es um Wohnung, Einkommenssicherung, Arbeit, soziale Kontakte zu Familie und Freunden. Ein besonderes Projekt ist das „Europäische Zentrum für Straffällige“: dabei geht es um eine grenzüberschreitende Arbeit für Inhaftierte in der Region Elsaß und die angrenzenden Bundesländer Deutschlands. ACCORD hofft diese bestehende Arbeitsstelle noch weiter ausbauen zu können.

Präsentation von UFRAMA
Henri Eichholtzer, vom Vorstand des nationalen Verbandes für Angehörigenarbeit UFRAMA, stellte die Situation der Hilfe für Angehörige von Inhaftierten in Frankreich dar. UFRAMA ist seit 2001 auf nationaler Ebene organisiert und vereinigt knapp hundert örtliche Vereine, die sich um Familien und Angehörige von Inhaftierten kümmern. Die französische Bezeichnung spricht bei dieser Arbeit von „Maison d’Acceuil – Häuser des Empfangs“ – so nennen sich alle Initiativen in Frankreich, die Angehörigen von Inhaftierten an der Strafanstalt Hilfe anbieten.
Oberstes Ziel von UFRAMA ist

  • die familiären Bindungen aufrechtzuerhalten und zu unterstützen während der Inhaftierung des Partners um eine Wiedereingliederung zu unterstützenden
  • den Familien zu Würde und Autonomie zu verhelfen.

Henri Eichholtzer beschrieb die Arbeit auf drei Ebenen: die lokale Ebene, die regionale Arbeit (Elsaß-Lothringen) und die nationalen Aufgaben.

Lokale Ebene am Beispiel Ensisheim
Henri Eichholtzer selbst arbeitet in der Anstalt Ensisheim (bei Mulhouse), die einen hohen Sicherheitsstatus hat und für langstrafige Inhaftierte vorgesehen ist. Die Gemeinde Ensisheim hat insgesamt nur 6000 Einwohner und hat eine große Anstalt im direkten lokalen Bezug. Anlass für eine Angehörigenhilfe waren die langen Schlangen der Besucher vor der Strafanstalt. Einige Bürgerinnen und Bürger entwickelten die Idee, etwas für diese Angehörigen zu machen und ihnen zu helfen. Der erste Schritt war die Suche nach entsprechenden Räumlichkeiten – in einer kleinen Gemeinde wie Ensisheim aber nicht einfach. Die Folge war eine öffentliche Diskussion über das Für und Wider einer Hilfe und viele Vorurteile mussten bekämpft werden. Aber diese öffentliche Diskussion zum Start der Arbeit war gut und wichtig. Der nächste Schritt – nachdem ein kleines Büro im Ort gefunden war, zeigte sich, dass die Angehörigen der Inhaftierte sehr vielfältige und schwere Probleme hatten. „Wie kann Ihnen geholfen werden? Wie funktioniert eigentlich der Strafvollzug? Was muss man beachten?“ fragten sich die freiwillig/ehrenamtlich Engagierten. Der nächste Schritt war folgerichtig die Schulung und Ausbildung der Freiwilligen, die sich mit in der Angehörigenhilfe engagieren wollten. In Ensisheim wird konkret ein Empfang vor und nach dem Besuch der Angehörigen in der Strafanstalt angeboten. Es gibt auch eine Übernachtungsmöglichkeiten, da die Angehörigen zum Teil von sehr weit her anfahren. Und es wurde – da die Anstalt sehr weit vom Bahnhof weg liegt – ein Bring- und Holdienst zur Strafanstalt organisiert. Die Arbeit in der Angehörigenhilfe ist rein ehrenamtlich organisiert.

Regionale Ebene am Beispiel Elsaß-Lothringen
Es gibt in der genannten Region acht lokale Vereine, die Hilfe für Angehörige von Inhaftierten anbieten. Sie organisieren inzwischen gemeinsam die Ausbildung und Fortbildung für die aktiven Freiwilligen in ihren örtlichen Vereinen. Sie stehen außerdem in ständigem Kontakt mit dem Regionaldirektor für den Strafvollzug, um hier mit diesen staatlichen Verantwortlichen im Gespräch zu bleiben, festgestellte Probleme zu diskutieren und Änderungen zugunsten von Angehörigen zu erreichen.

Nationale Ebene
Die Vereine der Angehörigenhilfe sind auf nationaler Ebene zu einer Union zusammengeschlossen, die die verschiedenen Anregungen bündelt und auf nationaler Ebene Lobbyarbeit für Angehörige unternimmt. Es gibt insgesamt mehr als 70 Vereine in ganz Frankreich, d.h. fast an jeder Strafanstalt ist eine solche Hilfe für Angehörige vorhanden. Oft begann diese Angehörigenhilfe damit, dass ein Container vor der Anstalt aufgestellt wurde, dann wurden Räume in der Nähe der Anstaltspforte angemietet und inzwischen wird beim Neubau von Strafanstalten bereits die Angehörigenhilfe mit eingeplant und es sind entsprechende Räume vorgesehen. Durch den von der Regierung angekündigten Neubau von 12 neuen Strafanstalten in Frankreich gibt es aber auch etwas Unruhe im Verband: die Regierung sieht hier die die Angehörigenhilfe in der Planung mit vor, wobei aber private und freie Organisationen diese Hilfe mit Beruflichen anbieten sollen und die UFRAMA als nationaler Verband nicht vorgesehen ist. Fast alle arbeiten in den Vereinen von UFRAMA ehrenamtlich, es gibt nur ganz wenige berufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Koordination auf nationaler Ebene. Das Verhältnis von Freiwilligen und Beruflichen und die zukünftig zu erwartenden Veränderungen (mehr berufliche Arbeit von der Regierung gewünscht) führt zu intensiven Diskussionen im Verband.
Alle vier Jahr findet ein Nationaler Kongress für alle Mitglieder statt. Dazu gibt es auch Forderungen an das Justizministerium: um hier die Situation auch konkret belegen zu können, wird dafür zuvor ein Fragebogen an alle Angehörigen ausgegeben und ausgewertet, um ihre Anliegen mit aufzunehmen.
Es werden auch Informationsbroschüren herausgegeben für die Angehörigen: es gibt derzeit ein Handbuch für den Bereich der Untersuchungshaft und für den Bereich der Strafhaft. Dieses Handbuch wurde auch in verschiedene Sprachen übersetzt, das Europäische Forum hat die Übersetzung ins Deutsche unternommen.
Vor wenigen Wochen ist ein wunderschönes Bilderbuch für Kinder von Inhaftierten erschienen. Damit wird allen Kindern bis 7 Jahren in Form einer Geschichte einer Eichhörnchen-Familie die Situation und die Problematik der Inhaftierung des Vaters dargestellt. Das oft bedrückende Schweigen um die Problematik führt zu weiteren Problemen bei den Kindern – mit Hilfe dieses Bilderbuches kann die Inhaftierung angesprochen und auch erklärt werden. Ein Kinderbuch für etwas ältere Kinder ist derzeit in Planung.
Die Finanzierung der Angehörigenhilfe läuft z. T. über staatliche Zuschüsse, wobei diese in den letzten Jahren gekürzt wurden. Die örtlichen Vereine bemühen sich aber auch um Unterstützung von Gemeinden, von den Departements und von der Familienkasse. Es lässt sich immer wieder eine Kluft zwischen den öffentlichen Aussagen von Politikern und der tatsächlichen Unterstützung feststellen.

Präsentation der Angehörigenhilfe der CARITAS Strasbourg
Mathieu Rich, bei der Caritas Strasbourg zuständig für die Wohnungslosenhilfe und Straffälligenhilfe, berichtete von der Angehörigenhilfe in Strasbourg. Es gibt seit zwei Jahren Angebote für Angehörigen, die in der Strafanstalt Strasbourg ihre Familienmitglieder besuchen. Die Strafanstalt Strasbourg hat derzeit etwa 700 Gefangene. Die Arbeit begann mit einem Angebot am Samstagvormittag und -nachmittag – inzwischen ist die Betreuungszeit weiter ausgebaut worden, so dass insgesamt 50 Stunden in der Woche Angebote für Angehörige gemacht werden können. Vor allem am Mittwoch und am Samstag, wenn die kleineren Kinder schulfrei haben, kommen Frauen mit ihren Kindern zum Besuch in die Strafanstalt.
Ziel der Arbeit ist es die Familien in ihrer schwierigen Lage zu unterstützen, Belastungen für sie zu vermeiden oder abzubauen und die familiären Beziehungen mit dem Inhaftierten aufrecht zu erhalten.
Es wurde 2006 mit zwei Ehrenamtlichen begonnen, inzwischen gibt es über 40 Freiwillige. Die meisten Gefangenen kommen aus der Region, so dass die Familien z. T. zwei bis dreimal in der Woche zu Besuch kommen (in Frankreich sind die Besuchszeiten wesentlich länger als in Deutschland!). Dadurch entstehen auch enge Kontakte zu den Familien der Inhaftierten. Die Angehörigen kommen oft schon eine Stunde vor der Besuchszeit und bleiben nachher noch eine Stunde in den Räumen der Angehörigenhilfe, um hier Kontakt, Unterstützung und Beistand zu erhalten und mit den Freiwilligen sprechen zu können. Gut angekommen ist kürzlich auch eine Aktion zum Vatertag, wo beim Besuch Familienfotos gemacht wurden und diese Familienbilder dann sofort ausgedruckt und den Vätern und Kindern mitgegeben wurden.
Als neues Projekt gestartet wurde vor kurzem die Begleitung von Kindern, die ohne Erwachsene zum Besuch kommen und von Freiwilligen der Caritas begleitet werden. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem Sozialen Dienst der Justiz, die einzelne Fälle melden. Die Freiwilligen begleiten dann das betreffende Kinder länger, insbesondere bei Prozessen mit langen U-Haft-Zeiten.