Donnerstag, 04.07.2014
Unsere Tagung findet in diesem Jahr im Janusz-Korczak-Heim, einer sozialtherapeutisch-pädagogischen Einrichtung, in Zgorzelec (Polen) statt – die Partnerstadt des deutschen Görlitz über der Neiße. Nach dem Abendessen wurde ein Lagerfeuer entzündet und alle Teilnehmer/innen trafen sich bei wunderschönem Wetter rund um das Feuer. Die Teilnehmer/innen aus Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Schweiz, Tschechischen Republik, Slowakei, Kroatien, Ungarn und Polen stellten sich der Reihe nach vor und erläuterten ihren persönlichen Bezug zu Jugendkriminalität und Kriminalpolitik.
Freitag, 04.07.2014
Die Tagung wurde offiziell eröffnet von Irenäus Stec, dem Leiter des Janusz-Korczak-Heims.
Er begrüßte neben dem Landrat des Kreises Zgorzelec weitere Vertreter/innen der Stadtverwaltungen von Zgorzelec und Görlitz, von der örtlichen Polizei, den Dekan von Zgorzelec, vom Gericht, der Staatsanwaltschaft und der Bewährungshilfe von Zgorzelec, vom Jugendamt und der Jugendgerichtshilfe Görlitz, sowie die deutschen Partner vom Janusz-Korczak-Heim aus Görlitz.
Insgesamt nahmen über 50 Personen an der Tagung teil. Der Landrat vom Kreis Zgorzelec und Wolfgang Krell als Vorsitzender des Europäischen Forums sprachen ein kurzes Grußwort.
Polen
Der erste Vortrag wurde von Irenäus Stec gehalten: er stellte das Hilfesystem der Jugendhilfe in Polen vor und nahm besonderen Bezug auf die MOS, die sozialtherapeutischen Erziehungsheime wie sein Janusz-Korczak-Heim in Zgorzelec.
Irenäus Stec gab einen informativen Überblick über die Organisation der Jugendhilfe in Polen. Er erläuterte die verschiedenen zuständigen Behörden und Einrichtungsformen und die gesetzlichen Grundlagen für die Hilfe für Jugend, denen „Demoralisierung“ droht, die im Gesetz in ihren verschiedenen Stufen definiert ist.
Irenäus Stec wies insbesondere auf die ständigen gesetzlichen Änderungen hin, die auch noch sehr unklare Formulierungen enthalten. Dadurch wird die praktische Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen erschwert, denn bewährte Vorgehensweisen müssen der neuen Gesetzeslage angepasst werden. Irenäus Stec leitet das Janusz-Korczak-Heim in Zgorzelec, das ein so genanntes „MOS“ ist: es handelt sich um eine stationäre Einrichtung der Jugendhilfe, in der Kinder und Jugendliche noch auf freiwilliger Basis, d.h. auf Wunsch der Eltern, aufgenommen werden. Der intensivere Eingriff – Unterbringung aufgrund richterlicher Anordnung – wird in der weitergehenden Einrichtung, den so genannten „MOW“ durchgeführt.
Belgien
Im zweiten Vortrag stellte Marie-Christine Delbovier aus Belgien zuerst die Einrichtung vor, die sie leitet: das IPPJ St. Servais in der Nähe von Namur (Französische Gemeinschaft in Belgien). Es handelt sich um eine stationäre Einrichtung der Jugendhilfe mit 46 Plätzen und die einzige Einrichtung für Mädchen im französischsprachigen Teil Belgiens. Insgesamt stehen ihr dafür im Team 98 Vollzeitstellen im psychologischen, erzieherischen und Verwaltungsbereich zu Verfügung. Das Heim ist grundsätzlich offen, lediglich für 4 Mädchen gibt es eine geschlossene Abteilung.
Im Folgenden ging Marie-Christine Delbovier näher ein auf die aktuelle Problematik in Belgien beim Umgang mit straffälligen Jugendlichen, insbesondere den Mangel an Plätzen in Erziehungsheimen, die geringe Anwendung von alternativen Maßnahmen und die Überbeanspruchung der relativ intensiven Maßnahmen im IPPJ. Sie erläuterte dazu Vorschläge für eine Verbesserung in diesen drei Problembereichen.
Exkursion
Mit dem Bus machten sich die Teilnehmer/innen der Tagung auf zu einer Exkursion zur Besichtigung einer so genannten „MOW“-Einrichtung. Es handelt sich dabei um eine Jugendhilfe-Einrichtung, in die Jugendliche aufgrund richterlicher Weisung aufgenommen werden. Es handelt sich also nicht mehr um eine Einrichtung der freiwilligen Erziehungshilfe, sondern bereits der staatlich angeordneten Erziehung und Unterbringung.
Das MOW in der Nähe von Zgorzelec war eine ehemalige Schule auf dem Land und ist im letzten Jahr neu renoviert worden. Die geschlossene Einrichtung hat insgesamt 36 Plätze für männliche Jugendliche im Alter von 15 – 18 Jahren. Die Zimmer in den drei Gruppen sind als 2 – 4 Betten-Zimmer gestaltet. Es gibt 20 pädagogische Fachkräfte, 7 Mitarbeiter/innen für Hauswirtschaft und Technik und eine Mitarbeiterin in der Verwaltung. Es gibt drei Klassen in der Einrichtung, in denen Unterricht der gleichen Art stattfindet, wie in der öffentlichen Schule. Der Aufenthalt im Haus ist vom Richter angeordnet und auch überwacht. In der Regel bleiben die Jugendlichen bis zur Erreichung der Volljährigkeit mit 18 Jahren.
Der zweite Tag der Tagung endete mit einem Abendessen in einem Restaurant in Zgorzelec und der Mitgliederversammlung des Europäischen Forums für angewandte Kriminalpolitik e.V. Während des Abendessens sorgte das Viertelfinalspiel von Frankreich gegen Deutschland der WM 2014 in Brasilien durchaus für Aufregung aber auch für entsprechenden Spaß zwischen den deutschen und französischen Tagungsteilnehmer/innen.
Samstag, 05.07.2014
An diesem Tag der Europäischen Tagung berichteten Praktiker aus verschiedenen europäischen Ländern über die Bedingungen und ihre Erfahrungen im Umgang mit Jugendkriminalität.
Deutschland
Den Anfang machte am dritten Tag der Tagung Sieglinde Schmitz vom Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg (in der Nähe von Trier). Sie erläuterte die Grundsätze der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland und ihre Arbeit in der Einrichtung. Dabei wies sie auf die Phase der „Heranwachsenden“ hin, die es im deutschen Jugendstrafrecht gibt. Zwar sind Jugendliche ab dem 18. Lebensjahr volljährig, es kann aber in der Zeit vom 18. bis 21. Lebensjahr nach Prüfung des Falles noch das Jugendstrafrecht angewandt werden. Sie wies auch auf die neu entstehenden „Häuser des Jugendrechts“, in denen alle zuständigen Behörden und Beratungsstellen unter einem Dach arbeiten. Es gibt sehr gute Erfahrungen mit dieser Zusammenführung der Stellen, so dass auf die Delikte von Jugendlichen sehr schnell reagiert werden kann.
Tschechische Republik
Vera Dunajcikova, Leiterin des Jugendamtes in der Stadt Frydlant, an der polnischen Grenze, berichtete aus ihrer praktischen Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen und deren Familien. Sie bedauerte, dass Eltern sich oft zu spät an das Jugendamt mit der Bitte um Unterstützung wenden. Es gibt auch viele Fälle mit drogenabhängigen Eltern, wo leider keine Mitarbeit für die Erziehung der Kinder erwartet werden kann.
Pfarrer Radek Jurnecka berichtet von seinen Erfahrungen mit jungen Menschen als Gefängnisseelsorger, als Gemeindepfarrer und als Lehrer. Im Rahmen seiner Aufgaben organisiert er auch Erziehungskurse für Eltern. Er appellierte an die Behörden, mehr Personal in den Jugendhilfeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Alle kirchlichen Einrichtungen forderte er auf, ihre Räume für Jugendliche zu öffnen und Projekte mit Jugendlichen aller gesellschaftlichen Schichten zu starten.
Schweiz
Caroline Beyeler stellte ihre Arbeit als Jugendanwältin in Thurgau vor und erläuterte die Aufgaben dieser Funktion, so sie sowohl Staatsanwältin wie auch Jugendrichterin ist. Sie ging in ihrem Vortrag auch auf die aktuelle Debatten in der Schweiz ein. Insbesondere die hohen Kosten von Jugendhilfemaßnahmen für wenige straffällige Jugendliche, die hoch gefährdet sind, sorgten für öffentliche Aufregung. Dabei ist aber immer zu bedenken, dass diese Jugendlichen einerseits sehr problematisch sind und diese intensiven Hilfen andererseits nur sehr kurzzeitig angeboten werden.
Ungarn
Josef Koch, Leiter des Städtischen Jugendamtes von Pécs, erläuterte die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe in Ungarn in Bezug auf die verschiedenen Präventions¬ebenen. Er ordnete die jeweiligen Funktionen den Bereichen der primären, sekundären und tertiären Prävention zu. Er hob dabei insbesondere die Bedeutung der Familie bei der primären Prävention hervor und erläuterte staatliche Hilfe- und Unterstützungsleistungen im sekundären und tertiären Bereich.
Kroatien
Ivana Vincek Kovacic, Leiterin eines Kinderheimes in Zagreb, berichtet insbesondere über Risikoverhalten für Kinder und Jugendliche. Sie trug die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung zur Nutzung von Facebook unter den Jugendlichen vor. Dabei stellte sie fest, dass ein sehr hoher Anteil bereits über Facebook gemobbt wurde, aber auch ein hoher Anteil der Kinder und Jugendlichen auch selber über dieses Medium Mobbing bereits ausgeübt hatten. Sie erläuterte die lokale Arbeit mit Präventionsprogrammen, die das Risikoverhalten mindern und die Schutzfaktoren von Kindern und Jugendlichen stärken.
Tagungsabschluss
Beim Umgang mit Jugendkriminalität handelt es sich um ein weites Feld, das von Primärprävention bis zum Strafvollzug geht. Immer wieder wird das Spannungsverhältnis von Hilfe und Strafe deutlich. Dazu gibt es in den jeweiligen Ländern unterschiedliche Ansichten, was z.B. das Alter der Zielgruppen angeht oder die Frage der Mündigkeit und damit der vollen Verantwortlichkeit für sein Handeln bis hin zur Frage des finanziellen Aufwandes für gefährdete Kinder und Jugendliche.
Es wurden auf der Tagung Einblicke in viele verschiedene Länder Europas möglich. Die Kinder- und Jugendhilfe und die unterschiedlichen Ansätze sind nur schwer vergleichbar, denn jedes Land hat unterschiedliche Traditionen, unterschiedliche Philosophien und damit auch andere Gesetze als Grundlage der Kinder- und Jugendhilfe.
Entscheidend ist es aber, nicht nur von den Schwächen und Risiken von Kindern und Jugendlichen auszugehen, sondern von ihren Stärken und ihren Ressourcen. Das gemeinsame Ziel ist ein gesundes Aufwachsen aller unserer Kinder, so dass sie ein eigenverantwortliches Leben führen können.
Wolfgang Krell dankte im Namen des Europäischen Forums für angewandte Kriminalpolitik e.V. Michael Landowski (Europäische Beratungsstelle Görlitz) für seine Unterstützung und Irenäus Stec und seinen gesamten Team vom MOS Janusz-Korczak-Haus für die tolle Organisation und herzliche Gastfreundschaft.